Lebendige Bäume – Die Verwandlung einer Geschichte

Schülerinnen und Schüler der Klasse 8.1 des Tagore-Gymnasiums in Berlin verfassten im Deutschunterricht bei ihrem Lehrer Herrn Blum eigene Texte auf Grundlage der Kurzgeschichte „Stadtbesetzung“ (1979) von Wolfgang Bächler (1925-2007). In der Geschichte erwachen Bäume zum Leben und greifen eine Stadt an, fest entschlossen, den urbanen Raum zurückzuerobern. Die Schülerinnen und Schüler konnten zwischen mehreren Möglichkeiten auswählen: So entstanden Zeitungsartikel, Tagebucheinträge, phantastische Briefe, Traumerzählungen, Kalendergeschichten und Romanauszüge. Eine Auswahl an Texten erscheint hier zum Nachlesen. Die Zeichnungen stammen von Melina und Henriette.

Ein Zeitungsartikel
von Pia

Die Kraft der Bäume
Warnung!
Bäume umzingeln die Stadt.
Sie vermehren sich und dringen immer weiter ein.
Gebäude, Bahnhöfe und Autos sind umzingelt von riesigen Ahornbäumen.
Der Lebensraum der Menschen wird zerstört.
Die monströsen Bäume nehmen keine Rücksicht und vernichten alles.
Zurzeit gibt es immer mehr vermisste Personen.
Also bleiben sie in ihren Häusern.
Oder verlassen sie die Stadt, solange sie noch können.

Aus meinem Tagebuch
von Anh

Tag 1: Heute ist ein ganz normaler Tag. Sommer ist die beste Jahreszeit. Ich ging Eis essen mit meinen
Freunden.
Tag 2: Als ich aufwachte, staunte ich nicht schlecht. Die ganze Straße war voll mit Pflanzen. Es war keine Menschenseele zu sehen. Ich hoffte, dass es nur ein Alptraum war.
Tag 3: Es war kein Alptraum. Ich fand Essen und Trinken. Die einst so lebendige Stadt wirkte so leblos wie noch nie. Ich ging raus, um die Ursache zu finden. Bis zum späten Abend fand ich nichts. Hier gibt es auch keinen Empfang.
Tag 4: Ich machte mich auf dem Weg zu meinem Uni-Professor, der sich mit Bäumen auskennt. Zu meinem Entsetzen, verstarb er an den Pflanzen, die ihn vor meinen Augen tödlich überwuchsen, überwucherten, überrankten. Ich floh. Fleischfressende Pflanzen! Ahhh!
Tag 5: Mittlerweile ist alles grün. Sogar der Himmel. Er hat sein hoffnungsvolles Blau verloren. Ich bin allein. Allein.

Ein phantastischer Brief
von Henriette

Sehr geehrter Herr Linde,
ich weiß, du bist krank und kannst deshalb nicht mit in den Krieg gegen die Menschen ziehen. Ich bin mir aber sicher, dass es dir Freude bereitet hätte, diese schrecklich vielen Autos zu zerstören oder unsere Brüder und Schwestern aus ihren Gefängnissen (die Menschen sagen „Gärten“) zu befreien. Lange genug wurden wir für die Zwecke der Menschen benutzt und mussten zu sehen, wie Bäume, die uns nahe standen, verbrannt wurden. Das soll nun ein Ende haben. Sobald du wieder gesund bist, mein guter Freund, wirst du es sehen. Die Menschen werden fort sein, fort. Und wir? Wir werden endlich Frieden finden.
Mit freundlichen Grüßen
Dein Gustav Birne

Eine Traumerzählung
von Ruslan

Ich habe heute einen verrückten Traum geträumt. Alles fing damit an, dass mich meine Hausaufgaben gebissen haben. Aua! Danach musste ich aus irgendeinem Grund Pappe auf einem Holzbrett schneiden. Als ich schneiden wollte, fing das Stück Pappe vor Angst zu schreien an. Ahh! Bevor ich reagieren konnte, hat das Holzbrett mein Messer in zwei Teile zerbrochen und mir eine Backpfeife gegeben. Aua! So schnell wie möglich bin ich aus meinem Haus gerannt. Draußen sah ich einen riesigen Baum, der alles aufgegessen hat, was ihm in die Quere kam. Ahh! Mein Skateboard aus Holz konnte ich auch nicht benutzen, denn es rollte die ganze Zeit vor mir weg. Aber was mich eindeutig mehr gestört hat, war mein Hunger, weswegen ich schnell zum Rewe gerannt bin. Alle Verpackungen aus Pappe oder Papier haben selbstständig die Regale verlassen. Nur leider habe ich nicht bemerkt, dass der riesige Baum mich die ganze Zeit verfolgt hatte. Er ging auf den Laden los. Mit seinen Armästen schlug er alles kurz und klein. Schließlich stand er direkt vor mir. Am Ende sah ich nur noch sein großes grünes Maul. Er verspeiste mich Haut und Haar.

Eine Kalendergeschichte
von Veit

Das letzte Gefecht: Ein Kommandant im Angesicht der Naturgewalt

In der düsteren Dämmerung stand der Kommandant der Stadtwache auf einem seichten Hügel, von dem aus er das Tal vor den Stadtmauern überblickte, in welchem die bevorstehende Schlacht stattfinden würde. Ein eisiger Wind strich über die verwitterten Gesichter seiner Männer, die sich um ihn versammelt hatten. Doch während sie sich auf das Unausweichliche vorbereiteten, lastete die Bedrückung der Übermacht an Feinden schwer auf seinen Schultern.

Die Gegner waren zahlreich, unerbittlich und schienen aus den Schatten der finsteren Wälder heraufzukommen wie eine unaufhaltsame Flut. Ihre Gestalten verschwammen in der Dunkelheit, und doch wusste er, dass sie ihm weit überlegen waren. Sie waren nicht wie normale Feinde, sondern schienen eine übernatürliche Kraft zu besitzen, die seine Männer und ihn selbst bis ins Mark erschütterte.

Sein Gewehr fühlte sich in seinen Händen plötzlich unnatürlich leicht an, als er es überprüfte, um sicherzustellen, dass es geladen war. Doch trotz seiner jahrelangen Erfahrung und seines unerschütterlichen Mutes nagte ein Gefühl der Unsicherheit an ihm. Konnte er mit dieser Waffe überhaupt etwas ausrichten gegen eine solche Übermacht? War ihr Schicksal bereits besiegelt? Die Sterne über ihnen funkelten wie die Augen eines Schicksals, das schon lange beschlossen schien. Doch inmitten dieser düsteren Vorzeichen erinnerte er sich an die Worte seines Vaters, eines alten Kriegers, der ihm einst beigebracht hatte, niemals den Glauben an die eigene Stärke zu verlieren, egal wie aussichtslos die Lage auch sein möge.

Und so führte er seine Männer mit stoischer Entschlossenheit in die Schlacht, das Herz erfüllt von dem brennenden Feuer des Widerstands. Doch als die ersten Feinde aus den Schatten hervortraten, erstarrte der Kommandant vor Entsetzen. Sie waren keine Menschen. Sie waren, etwas von dem er zu träumen nicht gewagt hätte. Lebendige Bäume, mit knorrigen Ästen, die sich wie Speere ausstreckten, bereit, alles zu durchdringen, was sich ihnen in den Weg stellte, standen ihm und seinen Männern gegenüber.

In einem verzweifelten Kampf gegen die überwältigende Naturgewalt kämpfte er Seite an Seite mit seinen Männern. Doch während das Chaos um sie herum tobte, wurde ihm klar, dass sie keine Chance hatten. Die Bäume waren zu stark, zu zahlreich und zu unbarmherzig.

Und dann geschah das Unvorstellbare. Ein gewaltiger Baum mit schwarzer Rinde und glühenden Augen erhob sich über sie, seine Äste wie riesige Lanzen, die auf sie herabstürzten. Er konnte nichts tun, als er von einem dieser Äste durchbohrt wurde, sein Körper im Todeskampf aufgespießt, während das Leben aus ihm herausströmte.

In seinen letzten Momenten des Bewusstseins erkannte er die grausame Ironie des Schicksals. Sie hatten nicht gegen menschliche Feinde gekämpft. Sie waren gegen die Natur selbst angetreten, gegen die lebenden Bewahrer des Waldes, die sie als Eindringlinge betrachteten und nun mit tödlicher Entschlossenheit zurückschlugen.

Und so endete die Geschichte eines Kommandanten, eingebettet in den Schatten der Bäume, die ihn besiegt hatten, und sie hinterließ nur eine leise Warnung an jene, die es wagten, sich der Macht der Natur entgegenzustellen.

Ein Romanauszug
von Ali

Friedliches Miteinander
Als Baum ist mein Tag ruhig und friedlich. Morgens spüre ich die Sonne, die durch meine Blätter scheint und die Vögel, die in meinen Zweigen singen und die Insekten, die um mich herum summen. Ich stehe tief verankert im Boden mit meinen großen Wurzeln. Ich gebe Schatten und Schutz für Tiere und Menschen. Ich beobachte die Menschen, die unter mir vorbeigehen und ich spüre ihre Energie. Ich beobachte ihre Bewegungen und ihre Interaktionen. Manche sitzen unter mir im Schatten und ruhen sich aus, andere gehen schnell vorbei. Tagsüber wache ich über das Land und nachts ruhe ich mich aus, während der Mond über mich wacht und ich genieße die Stille der Nacht. Ich bin ein Baum – ein Teil der Natur – und ich bin dankbar für mein Leben.